Die Vokale und Konsonanten der geistigen Welt

Dass Rudolf Steiners Esoterik, ernsthaft betrieben, eine langjährige Beschäftigung beinhalten wird, ist jedem klar, der sich etwas eingehender damit beschäftigt hat. Allerdings gibt es, je mehr man und wie man mit Menschen spricht, immer wieder Anknüpfungspunkte des Einzelnen. Das, woran man da anbindet, findet man nicht unbedingt leicht in Rudolf Steiners Sprachkosmos wieder. Es handelt sich auch nicht um Erfahrungen, mit denen man hausieren geht, berührt es doch stets das Wesentliche, das Essentielle- das, woraus man sein inneres Leben schöpft. So wesentlich es erscheinen mag, ist es aber überaus flüchtig, wenn das ganze Element des Übens ins Spiel kommt.

Denn übend setzt man sich Ziele und kommt in ein Leistungsfeld hinein, dem sich das Wesentliche sofort entzieht. Zudem entstehen aus dem Sprachkosmos Rudolf Steiners stets Vorstellungen, denen man zu entsprechen geneigt ist. Die aus der Sprache gewonnenen Bilder und Ziele sind aber nur Variablen, mit denen Steiner auf ein Erfahrungsfeld verweist, das man sich selbst erschliessen muss. Es geht nicht ohne ein inneres Zurückweisen dessen, was symbolischen Charakter bei Rudolf Steiner hat. Erst im eigenen, individuell gefundenen Zugang kann man wieder Steiners Formulierungen als das entschlüsseln, auf was dieser zweifelsfrei hingewiesen hat- aber eben in seinem Duktus, in seinem sprachlich- bildlichen Kleid. Die „Nacktheit“ des Adepten ist für Viele, die Steiner möglichst wortgetreu folgen wollen, schwer zu ertragen. Die innere Selbständigkeit des Anthroposophen ist aber für diese Art von Erfahrungen ebenso wesentlich wie der innere Anker, der Ansatzpunkt, dem sie folgen. Das Adeptentum ist daher ebenso tödlich für die nackte Erfahrung wie der Ehrgeiz im Folgen eines vorgestellten Schulungswegs. Was vielmehr gefordert ist, ist ein unbedingtes wesentliches Beginnen in jedem Augenblick, eine unmittelbare, verdichtete Präsenz.

Nur so lassen sich Erfahrungen machen wie sie Steiner in „Okkultes Lesen und okkultes Hören“ (GA 156) auf seine unnachahmliche, aber auch missverständliche Art und Weise schildert. Er macht die hier getroffenen Aussagen auch deutlich, wenn er sagt (S.78): „Was man okkultes Lesen und okkultes Hören nennt, ist wirklich eine individuelle Erfahrung“. Seine Hoffnung, seine Schüler würden das Problem der dabei so beschränkt einsetzbaren, zumindest missverständlichen Sprache - „um sich über diese Dinge zu verständigen“- schon regeln, hat sich allerdings nur zum geringen Teil erfüllt. Die Aufgabe, die sich in der Forderung artikuliert „Die Sprache muss noch viel biegsamer werden“ (S. 79) steht noch aus. Man spürt Steiners eigenes Bemühen, aber auch sein Empfinden, allenfalls im Ungefähren Hinweise geben zu können.

Dabei geht es ihm (S. 70 ff) um eine Schilderung der Erfahrungen in einem inspirierten meditativen Erleben- einer immer weiter verdichteten, willentlich aufgeladenen und dann losgelassenen Aufmerksamkeit. Die „Verdichtung“ in der menschlichen Präsenz vergleicht er mit einem „An- der- Pforte- des Todes- Stehen“ (S. 73), die man erlebe in einer signifikanten Dynamik in der „obersten Gegend“ - damit ist der Kehlkopf gemeint -, und einem Zusammenziehen „nach der Herzgegend“.

Es handelt sich um Erfahrungen, die mit der höchsten Aktivität in den Chakren zusammen hängen. Rudolf Steiner erwähnt in diesem Zusammenhang aber nur die, in denen die stärkste und direkteste Dynamik spürbar ist. Es sind mit der Modulation zwischen Herz- und Kehlkopf- Chakra auch unterschiedliche Qualitäten verbunden. Steiner kommt es vor allem auf den Durchbruch an, der in der Erfahrung liege: „Dann sieht man ein anderes Leuchten und vernimmt ein anderes Tönen, wie aus einer Wesenheit heraus, in die man sich versetzt hat mit den Ich und dem Astralleib“. Die Betonung liegt bei ihm dabei auf der wesentlichen Erfahrung, dass man diese Art von modulierender Dynamik nicht produziert. Man macht sie nicht, sondern tritt innerlich beiseite, schafft aktiv Raum.

Aber es ist auch kein mystischer Ausnahmezustand, sondern ein in jedem Augenblick hellwacher bewusster Prozess. Das hat er in den Vorbereitungen darauf deutlich gemacht, in denen er schildert, wie man sich denkend und meditativ wollend in ein „lebendiges Weben und Wesen in sinnvollem Weltensein“ begibt: „Überall, wohin man sich versetzt, ist Sinn.“ Das klare, konzentrierte Denken hat sich so verdichtet, dass es in einem dynamischen sinnhaften Raum aufgeht, in dem es selbst sinnschaffend agiert. Hier ist nichts hinzugedichtet oder mystisch empfunden; der Anspruch ist vielmehr der, eine Erfahrung des Logos zuzulassen, der das Essentielle des Denkens selbst ist: des „all- sinnvollen Weltenwort(es)“.

Diese Erfahrung ist zugleich die situative Überwindung des selbstbezogenen Egos, denn: „Was ich in diesem Weltenworte weiss, das weiss die Welt in mir..“ (S. 71). Daher ist hier auch keine persönliche Anstrengung, keine persönliche Entwicklung, kein Ehrgeiz, kein höheres Selbstgefühl angebracht - dies alles sind ja nun Projektionen auf der Ebene des Egos. Man erlebt sich vielmehr als ein „unvollkommenes Instrument“, das, seiner selbst voll bewusst, „in gebrochenen Strahlen dieses Weltenwort in mich hereintönen lässt“ (S. 71), jenseits allen Zeit- und Raumempfindens. Dieser Zustand wird von Rudolf Steiner "im höheren Sinne Inspiration" genannt. Aber man „hält“ das Bewusstsein, man lenkt selbst in höchster Konzentration- auch wenn die Dynamik fliesst und einen zutiefst sakralen Charakter hat. Es ist nicht nur - hier spielen die Modulationen zwischen den Chakren herein- eine selbständige, Sinn schaffende, Geist findende, sondern auch moralische Erfahrung. Man entdeckt ohne Zweifel die denkbar höchste Form eigener Menschlichkeit und Moralität.

Die zunehmende Sicherheit im Verweilen in einem derartig umschriebenen inspirierten Erfahrungsfeld führt - so Rudolf Steiner- zum Ausbilden eines Spiegels des „eigentümliche(n) Wallen(s) und Wogen(s) des ätherischen Leibes“, aus dem unterschiedliche weitere Sinnzusammenhänge folgen - Erfahrungen an der Schwelle des Todes, vom Unmoralischen, vom Leben im schaffenden Sinnzusammenhang des Logos. Hier beginnt - je nach Grad und Art der bewussten Hingabe- eine aktive Teilhabe an dem, was Rudolf Steiner die Vokale und Konsonanten der geistigen Welt nennt- das ABC des wirklichen Adepten.