Sich mit den keimenden Kräften anzufreunden

Mit manchen Gedanken und Bildern Rudolf Steiners geht man Jahrzehnte  lang um. Dazu gehört für mich eine in der Studentenzeit gelesene Bemerkung von ihm, dass man an den Keimkräften, die in den sich im Frühjahr entfaltenden Knospen sichtbar werden, die Kräfte erkennen könne, die auch einen Planeten zu bilden in der Lage sind. Das hat mich die Natur anders sehen gelehrt.
Knospen und Keimendes sind ja auch Gegenstand der ersten, primären meditativen Anleitungen Rudolf Steiners in Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten. Der Keim ist Kern meditativer Betrachtung bei Steiner, da er nicht nur Welten gestaltet, sondern Urbild ist für die Dynamik des Lebendigen selbst- nicht nur in den Naturerscheinungen, sondern auch im menschlichen Bewusstsein.

Eine innere Ordnung durchdringt die Dynamik, die Form und Gestalt einer Pflanzenart sichert. Aber, wie so oft bei Steiner, bezieht sich die äußere Betrachtung der Natur in den Versuchen, die Dynamik des Keimenden mit zu denken, eben auch auf den Betrachter selbst: Die Art von Betrachtung, die Steiner meint, macht den Betrachter selbst zum Keim; der Versuch, das Bewusstsein im Nondualen aufrecht zu halten, führt zur Erfahrung des dynamischen eigenen Wesens.

Das Dynamische kann nur auf einer Ebene zur Erfahrung gebracht werden, auf der das Seelische situativ in absolute Ruhe gebracht worden ist. Das geht nicht ohne innere Zerreißproben- existentielle Krisen-, die alte persönliche Reflexe und Strukturen wenn nicht auflösen, so doch zumindest bewusst machen. Die Keimkräfte gedeihen nicht, ohne dass im schlichten Schweigen die selbstbezogenen Schalen beiseite gelegt sind, die bislang Identität, innere seelische Strukturen und biografischen Kontext fixierten. Die Selbsterfahrung in reiner keimender Bewusstheit ist derart kraftvoll, dass immer nur festgestellt werden kann, dass man diese Kräfte nicht auszuloten in der Lage ist; man kann sie in ihrer absoluten und umfassenden Kraft -  als Licht, als Dynamik oder in einer großen Imagination- zwar erfahren, aber als dieser Mensch, der man ist, nur in kleinen Dosen ertragen.

Daher besteht das Weghafte am meditativ- österlichen Leben darin, sich mit der Kraft des Lebendigen anzufreunden. Dieser Wunsch benötigt kein Arrangement, kein Setting, keine Gurus, keine Religion, keine Anleitung: Er ist selbsterklärend. Dennoch sind die Ansätze und Erlebnisarten sehr individuell, sehr unterschiedlich, auch wenn die Essenz, die das Innere übersteigt, immer die gleiche ist.

Aber es geht nicht nur um Licht und Keim; das Mitempfinden, das Respektieren und das Zur- Erscheinung- Kommen- Lassen des Anderen kann in der schweigenden Präsenz, die nicht mehr denkend und empfindend in einer Selbstbespiegelung gefangen ist, immer nur weiter wachsen. Es sind auch hier keine Grenzen gesetzt.

Das Schweigen lehrt auch, dass Identität ein flüchtiges Gut ist. Wir müssen die Dynamik als Ich fürchten, denn die fixe biografische Identität (Ego) könnte fortgerissen werden. Die tatsächliche Meditation zeigt aber, dass Identität völlig gewahrt bleibt; es braucht immer vollkommenere Hingabe in der Entwicklung des sanften Willens, aber keine Selbstaufgabe. Die Brücke dazu, im Fließenden geistig zu bestehen, aber doch derselbe zu sein, wenn auch als rein dynamische Entität, kann man nicht aus sich heraus bauen. Man weiß, dass an diesem Punkt Gnade gewährt wird, Identität auch jenseits des Lebens- in- Objekten zu bewahren. Denn in den Keimkräften müssten wir aus den bestehenden eigenen Kräften heraus unser Bewusstsein eigentlich verlieren- ja, sie müssten zu geradezu chaotischen und desorientierenden Zuständen des Bewusstseins nach den Tode führen:

Es ist etwa so, wie wenn man fort- während unter dem Eindrucke eines Erdbebens oder eines Vulkanausbruches leben müßte nach dem Tode, wenn man nicht die jungen Keimkräfte des Christus-Impulses im Ätherleib schauen kann. 

Was sind diese Keimkräfte eigentlich? Das Blut gehört ja zu den Substanzen des Leibes, und für den gewöhnlichen Menschenleib gehört es zu dem, was sich mit dem Tode physisch auflöst in die Elemente. Das war nicht der Fall, wenigstens nicht bei dem Teile des Blutes des Christus Jesus, der auf Golgatha aus den Wunden zur Erde floß. Dieser Teil ätherisierte sich, wurde wirklich aufgenommen von den Ätherkräften der Erde, so daß das Blut, das damals aus den Wunden floß, zur Äthersubstanz wurde. Und diese Äthersubstanz erglänzt, erhellt, erflimmert in dem Ätherleib und – man empfindet es so nach dem Tode – zeigt sich so, daß der Mensch weiß: Da ist frisch keimendes Leben, welches den Menschen lebensfähig der Zukunft entgegenführt.

In Freundschaft mit dem frisch keimenden Leben wird der Oster- Gedanke lebendig.